Kurzurlaub
KLASSE VOIGT ZU GAST [HOCHSCHULE FÜR BILDENDE KÜNSTE HAMBURG]
CHIAU SYUAN CHAI, KYLE EGRET, ANNIKA GRABOLD, BLANKA GYORI, SANJA HENNING, PAULA HOFFMANN, MAX KAPSNER, PHILINE MAYR, OLGA MOS, XINTONG SUN, BRYNJULFUR THORSTEINSSON
Ausstellungsdauer
10. Juni – 20. Juli 2023
Eine leichte Brise weht durch die Akademie. Sommer assoziieren wir unmittelbar mit Urlaub. Doch was bedeutet Urlaub eigentlich für Künstler:innen, die sich keine Auszeit vom Beruf nehmen, sondern immer und überall in ihrer Rolle stecken? Antworten darauf lassen sich in den Werken der Klasse Voigt finden, deren Ausstellung unter dem Titel Kurzurlaub unterschiedliche Bezugspunkte zu diesem Thema eröffnet.
Dabei wird Kurzurlaub für die Künstler:innen zum Bedeutungsprisma: Für die einen heißt dies, sich der Landschaft zu widmen, sie auf eigene Art und Weise ins Bild zu setzen, sich einen ganz persönlichen Rückzugsort zu schaffen. Für andere, sich mit dem Urbanen auseinanderzusetzen, architektonische Strukturen aufzuspüren und umzuformen. Oder: in ihrer wohl elementarsten künstlerischen Form – die Bilder und Eindrücke der Welt mit dem subjektiven Blick zu kombinieren, sich der Farbe und den Strukturen hinzugeben und immer neue Übersetzungen für das Abbild unserer Wirklichkeit zu finden. Die Ausstellung lädt ein, durch Zusammenstellung unterschiedlicher Arbeiten, die Gegend der zeitgenössischen Kunst zu erkunden.
Eva Schuster
Unter den Themen Heim, Haus und Wohnung sucht Chiau Syuan Chai nach einem Bild, dass starke emotionale Erinnerungen weckt. Sie verwendet herkömmliche bildhauerische Medien, um flächige Werke zu schaffen und kreiert Bereiche, in denen Malerei und Skulptur koexistieren oder miteinander kompatibel sind. Mit ihren künstlerischen Mitteln durchbricht sie die konventionelle Perspektive der Malereiinstallation. Sie transformiert großformatige Holzbilder in Bauteile und erschafft eine abstrakte Darstellung des Tagtraums vom Zuhause.
Als Ansatz und Arbeitsweise nutzt Kyle Egret die Darstellung von Improvisation und Struktur von Musik in der Kunst. Das Erinnern von alltäglichen Bildern spielt im Entstehungsprozess seiner reduzierten figürlichen Werke eine wichtige Rolle und ähnelt dabei dem Abrufen von verinnerlichten Musikstücken. Er verwendet verschiedene Materialien wie Papier, Acryl und Leinwand, um Formen, Linien und Texturen subtil zu untersuchen. Seine Werke haben eine rhythmische Qualität, ähnlich der Musik, und entstehen oft durch Zufall und unerwartete Einfälle. Trotzdem basieren sie auf einem klaren Konzept und demonstrieren, wie begrenzte Mittel eine Vielfalt an Formen und Texturen schaffen und eine bestimmte Stimmung erzeugen.
Die Arbeiten von Blanka Gyori sind wie Collagen, die aus farbigen Papieren ausgeschnitten sind: Flächen, die durch strenge Linien getrennt sind. Als Ausgangspunkt dienen ihr spontane, sehr einfache Zeichnungen, und viele Skizzen, sowohl manuell als auch digital. Wenn sie anfängt zu malen, sind die Zeichnung und die Umrisse der Formen festgelegt. Während des Malens konzentriert sie sich auf die Farben, Schnitte, Bewegungen. Sie sind angehalten, eingefroren, als ob ein Moment in einem dynamischen Prozess festgehalten wird. Sie sprechen auf spielerische Art und Weise über Gewalt und vermitteln Hoffnungslosigkeit mit dem Einsatz von Humor. Absurdität offenbart sich, wenn wir uns dem Wesen der Dinge nähern.
Im Rahmen ihrer künstlerischen Praxis beschäftigt sich Sanja Henning mit den subtilen Ausdrucksformen des menschlichen Körpers im Kontext von manifestierten biografischen Spuren sowie akuten Phänomenen. Ihre neuesten Arbeiten widmen sich dabei der Phase körperlicher Veränderung. Sei es die Pubertät, das Altern oder eine Schwangerschaft: Wenn unklar ist, was kommt und was bleibt, ist das Verankern im Jetzt der zuverlässigste Halt, der zu bekommen ist. Während das Denken in Zeiten solcher Ungewissheit kaum zu einer effektiven Bewältigung des partiellen Identitätsumbruches beitragen kann, sind es vor allem ein notwendiges Sich-Hingeben und das prozessbegleitende Fühlen, das einen mit der Veränderung und in sie hineinwachsen lässt. Die innere Wahrnehmung bezeugt den Wandel in verdaulichen Häppchen; die Malerei fungiert als Übersetzung in die neue Form.
In der Balkonserie von Paula Hoffmann geht es um den vermeintlich erweiterten Privatraum auf der Gebäudehülle liegend. Einzig mit der Hilfe visueller Barrieren schaffen Balkonsichtschutze, Sonnenschirme, Windfänge einen Schutzraum. Sie sind wie Höhlen aus der Kindheit, in der aus einer Decke und zwei Stühlen der sicherste Raum der Erde wird. Ein Ort zum Träumen, der Geborgenheit. So fühlt sich der Balkon an. Ein Urlaubsort des Alltags, doch vor neugierigen Ohren, vor um die Ecke schauenden Nachbarn, von unten herauf luschernden Passanten gibt es doch nur ein kleines Stück Intimität.
Die Malereien von Max Kapsner handeln vom Licht und der Farbigkeit der Welt. Sein besonderes Interesse gilt den individuellen – biographisch, räumlich und zeitlich einzigartigen – Farben, die ein Leben begleiten und ausmachen. Seine Arbeiten sind aus eben solchen Farben gemalt. Sie stammen von Orten und Menschen seiner Umgebung und sind mit Erinnerungen und emotionalen Gehalten verknüpft. Die intensiven Farben der in der Ausstellung gezeigten Bilder haben alle ihren Ursprung in Hamburg: vom sommerlichen Abendhimmel, über das Licht, das auf dem Wasser der Elbe spielt, bis zur Abendsonne, die in den Fenstern der Stadt gold glänzt.
Die zentrale Forderung an den Malprozess ist es, visuell präzise Assoziationen zu erschaffen. Philine Mayr montiert und strukturiert Gegensätzliches zu konsistenten Kompositionen, die schließlich einen untrennbaren Organismus bilden. Die einzelnen Aspekte scheinen dabei ineinander zu fließen, ohne ihre Eigenständig jemals aufzugeben. Neben Arbeiten, die eine spielerische oder kämpferische Interaktion betonen, stellen andere Isolation und Autonomie in den Vordergrund.
Auf den Leinwänden der Künstlerin Olga Mos spannen sich Landschaften, ihre Malerei kann als Reise gelesen werden. Die Arbeiten zeigen keine mimetische Naturnachahmung, sondern gleichen einer Projektionsfläche, die das Eintauchen in ein Gefühl der Umgebung zulassen. Die Werke sollen Mensch und Welt in Beziehung setzen, auf den konstruierten Sinn und Wert der Landschaften verweisen. Sie geben Anlass, jene Grenzen, die durch unsere eigene Wahrnehmung gezogen werden, zu hinterfragen, sich selbst zu positionieren und konstruierte Gegensätze verschwimmen zu lassen. Dabei befinden sich die Arbeiten in fließender Bewegung. Der bewusst gesetzte Abstand zwischen den Bildern verweist dabei gezielt darauf, dass jedes Werk trotz des Zusammenspiels für sich steht und versinnbildlicht gleichzeitig den Entstehungsprozess: Die Bilder befinden sich – ähnlich der Landschaft – in ständigem Werden. So lässt sich im Einzelnen wie im Ganzen eine Landschaft der Wahrnehmung – eine Geschichte der Entwicklung entdecken.
In ihren Malerein erforscht Xintong Sun das Zusammenspiel von Spiritualität und der materiellen Welt, indem sie die Essenz der menschlichen Erfahrung einfängt. Durch abstrakte Formen und subtile Oberflächenspuren entstehen Impulse und tiefgründige Einsichten. Die Serie Knife in the clear water erkundet die Dynamik von Verstecken und Zeigen während der Pandemie. Wie ein herausstechendes Messer in klarem Wasser reflektiert sie die Unmöglichkeit des wahren Verbergens und unsere ständige Verbindung zur Welt. Sie ermutigt die Betrachtenden, ihre eigene Perspektive und Emotionen zu entdecken und erfasst die vielschichtige Natur des menschlichen Daseins auf fesselnde Weise.
Stillsitzen kann sehr kraftvoll sein. Sie können sich viel Zeit nehmen: sich aufgliedern, sich selbst sezieren und versuchen, die Grenzen Ihrer Vorstellungskraft zu finden. Irgendwann werden Sie sich langweilen, egal wie sehr Sie sich ablenken. Ihr Verstand wird aufholen. Sie finden. Und Ihre Aufmerksamkeit fordern. Wenn Sie zu lange damit verbracht haben, sich abzulenken, und keinen Platz für das Kommende gelassen haben, wird Ihr Verstand Sie treffen. Wirklich. Verdammt hart. Sich dem zu stellen wäre gesund. Es sei denn, Sie erschaffen ein Labyrinth. Ein Labyrinth, das so groß ist, dass es sich über Planeten, Monde, Städte, ein ganzes Universum und seine Bewohner erstreckt. Dann können Sie lange unzugänglich bleiben. Das habe ich getan. Nachdem er sich verlaufen hatte, als sein Verstand ihn einholte und ihn zwang, seine vielen Schritte zurückzuverfolgen, während er sich mit den Themen befasste, die ihm auf dem Rückweg klar wurden. Brynjulfur Thorsteinsson versucht nun, durch das Schreiben eines Comics durch sein universelles Labyrinth zu navigieren. Mother ist sein jüngstes realisiertes Werk aus seinem introspektiven, aber dennoch sehr realen Universum. Ein Versuch, eine kontinuierliche Form der Kunst zu schaffen und Elemente aus seiner Geschichte hervorzuheben, die lauter sind, als sein Universum fassen kann. Unser Universum durch sein eigenes zu verstehen.