deen

Janina Roider

Biographie

*1986 Dachau
2006–2015 Akademie der Bildenden Künste München, Meisterschülerin Prof. Günther Förg
   
  Lebt und arbeitet in München

Preise / Stipendien

2018–2019 Arbeitsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
2016–2018 Atelierförderprogramm der Stadt München
2015–2019 Bayerisches Atelierförderprogramm
2008–2015 Stipendium des evangelischen Studienwerks Villigst
2014 1. Preis Plakatwettbewerb „Hommage an Günther Förg“,
  Internationales Kunstfestival in Toulouse
  Atelierförderung Domagkpark, Stadt München
2012 Atelierförderung Otto-Steidle-Ateliers der Fondara Immobilien
2010–2011 Auslandsstipendium an der Glasgow School of Art, UK
2008 1. Preis Junge Kunst 18–28, BBK Oberbayern Nord und Ingolstadt
2007 Förderkalender der LFA, Junge Kunst in Bayern 2008

Einzelausstellungen

2020 Make it newer!, EIGEN+ART Lab, Berlin
2018 #picoftheday, Vorwerkstift, Hamburg
2017 #picoftheday, Bayerische Hofglasmalerei, Kunstraum van Treeck München
2016 Portraits, Deutsches Hopfenmuseum, Wolnzach
  Neue Arbeiten, McDermott & Emery, München
2015 What we see is what we get, Evelyn Drewes | Galerie, Hamburg
2014 Das kleine Format, Galerie Smudajescheck, Ulm
2013 Ae farewell, alas for ever! (R. Burns), Galerie Smudajescheck, Ulm

Gruppenausstellungen

2020 Outlook and review of the year 2020, Galerie EIGEN+ART LAB, Berlin
  Jahresgaben, Kunstverein München
2019 triple bill, mit Eva Gentner und Miriam Rose Gronewald, K Bar, Berlin
  Nachts Allein im Atelier, Evelyn Drewes | Galerie, Hamburg
  EHF 2010, Benefitausstellung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
2018 Facets of Queer, Galerie Störpunkt, München
  Tacker, Galerie der Künstler, München
2015 IMA#GINE, Julia Beer, Thomas v. Poschinger, Janina Roider, Galerie Smudajescheck, Ulm
2014 Klasse G. Förg / M. Dornfeld, Galerie Matthias Jahn, München
  Jahresgaben, Galerie FOE, München
  Off the Wall, mit Thomas v. Poschinger und Julia Beer, Galerie Kampl, München
  Irgendwo Dazwischen, The Galley, Liverpool, England
  Hommage an Günther Förg, Museum Les Abattoire, Toulouse, Frankreich
  Vorschau-Rückblick, Galerie Kampl, München
2013 Gruppenausstellung, Künstler der Galerie Kampl, München
2012 Nichts ist aber bleibt, Klasse Förg, Cordonhaus, Cham
2011 Painting and Printmaking Part II, Newberry Gallery, Glasgow, Schottland
2010 Bayern – Italien; Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, Deutsches Hopfenmuseum, Wolnzach

Texte

Meerschaum

Meerschaum gebiert Idyllen. Schnell ist beim Blick in den beruhigend rauschenden, flüssigen Spiegel vergessen, dass ein Akt grausamer Gewalt vorausging: abgesichelt das offenbar überzählige ‚beste‘ (schlechteste?) Stück, vom Sohn dem Vater, auf Geheiß gar der Mutter, geworfen ins Meer, daher der Schaum, offenbar bio-chemisch-mythische Reaktion. Es entsteigt der Muschel, die ans Land gepustet, die Schönheit persönlich. Sie ist das Zentrum der Idylle, von ihr geht sie aus, sie verkörpert alles Blühen und Grünen. Zeugt, bei Botticelli, die Scham der anlandenden Venus, deren Hand und Haar das Geschlecht verdecken, vom vorangegangenen kastratischen Sündenfall? Sie weist jedenfalls von sich weg, hin auf die andere Vorzeit genau wie auf eine lüsterne, männliche Betrachterposition. Janina Roiders Super Woman ist nicht keusch – und sie ist anziehend. Sie ist Berührte: Die verrückten Hände ihrer Ahnin Venus tätscheln ihr den Schenkel – und verdecken – nichts. Künstler*innenhand öffnet, wie es zuvor manch berühmter Kunsthistoriker versucht hatte, die Venus: Statt verschlossen in sich zu ruhen (und sich trotzdem, heimlich, ‚keusch‘, dem männlichen Blick hinzugeben), greift sich Super Woman lasziv ins Haar, sie beherrscht souverän die Posen, die es in den Playboy schaffen. Sie schaut nicht dümmlich verträumt ins Nichts, wie ihre uralte Schwester, sie sieht mit halbgeschlossenem Auge am eigenen Körper hinunter und sendet, wie auf der Tanzfläche, an die betrachtende Umwelt ein stolzes Signal unerschütterlicher Selbstsicherheit. Der rotgoldne Glanz der alten Haarpracht lässt das Gesicht erglühen, wo einst Schatten war. Der Sonnenschirm, den sie als (politisches) Accessoire trägt, schirmt nicht: weder vor der neuen, der bunten Sonne, noch vor dem scheinbar bleichenden Blick der alten Hore, auf die hin sich ihre Pose öffnet. Der Schirm ist Gegenpart zur Muschel, was sich im Bild rührt, rührt, zwischen zwei Lippen – es rührt anders und verdeckt – nichts. Verdeckt zu wenig gar, denn was sich da gibt, als Super Woman, gibt mehr und überdies zu wenig: Enthüllt sie Botticellis Venus als phallische, flachbrüstige Nicht‑Mutter? Die tief verstrickt ist in die Etablierung patriarchaler Ordnung? Oder inszeniert Super Woman Venus in Drag – (fast) ohne Drag? Was sich da gibt, ist aber sicher ein stolzer Sündenfall, auch eine Form der ästhetischen Gewalt, eine Provokation, die auf Kastration jedoch offensichtlich nicht angewiesen ist. Im Gegenteil.

Super Woman ist hybrid – und bricht damit Blicke. Sie ist, (wie) auch ihre Ahnin, poppiges Klischee, quert das Klischee aber zugleich durch Doppelung bis zur Mannigfaltigkeit. Sie ist ehemalige venus pudica und Speerträger zugleich. Was einstmals Waffe, spannt sich auf, entfaltet sich zum apotropäischen Schirm, der abwehrt, indem er nichts mehr fürchtet und stattdessen, zusammen mit den tiefblauen Wogen, dem Regenbogen die Spektralfarben gibt. Unter dem Schirm lugt die alte Hore, die eine Metamorphose durchlebt hat: Sie ist im Verlaufe der Jahrhunderte zur transhumanen Daphne geworden. Sie wirft keinen symbolbeladenen Blumenumhang, der Super Woman (ver)hüllen hälfe; sie hat ein Pflanze‑Werden durchlaufen, nicht Lorbeer, sondern Palme – mit zwei Nüssen – und ‚flüchtet‘ – es ist eher ein Sehnen – mit offenen Palmschwingen der Zentralfigur zu.

Wird sie diese durch ihre Umarmung in die Wandlung involvieren? À la Deleuze über ein Frau-Werden zu einem Pflanze-Werden hinweg? Die sich ankündigende Kosung ist anderer Art, als sie sich zwischen den alten pustenden Gesichtern im linken Himmel zugetragen hat; erst nach Jahrhunderten zeigt der Ausdruck auf dem Gesicht der Nymphe nun unzweideutig, dass es bei der Frühling und damit ‚Fruchtbarkeit‘ bringenden Umarmung, für die sie Pustemann Zephyr gebraucht hatte, keineswegs um ihre Lust ging. Längst spuckt der Mund keine Rosen mehr, auch weil mann sie vor lauter Mythologie nichts sagen lässt; eine Mischung aus Botox und sedierenden Drogen lassen ihr gestopftes Lippenpaar zum mahnenden Gegenspieler der offenen Muschel werden.

Auch wenn Super Woman längst gelandet und seine patriarchale Fruchtbarkeit längst versiegt ist, darf Zephyr weiter pusten. Es blüht und ist (zu?) bunt, vor lauter Werden, am Strand. Und Super Woman möchte endlich, während ihrer Metamorphosen und in Gesellschaft der Palm-Nymphen, die Wellen reiten lernen.

Verstrickt wird sie bleiben, ins Klischee – nicht nur aus der Tradition, auch aus Popkultur, Hochglanzmagazin, Fototapete, Werbeindustrie, digitalem Alltag… Wie sollte sie auch arbeiten am Klischee, ohne intensive Verstrickung?

Was sehen wir also, wenn wir in diese flüssig-rauschenden, idyllischen Spiegel blicken? Vielleicht: auf welch mannigfaltige Weisen wir selbst verstrickt sind. Und: wie Meerschaum neue, unerwartete Verstrickungen gebiert.

Johannes Ungelenk