Genussvolle Flucht
NATA TOGLIATTI
Ausstellungsdauer
12. Mai – 3. Juni 2023
Nata Togliattis Diplomarbeit „Genussvolle Flucht“ ist als ganzheitliche Rauminstallation konzipiert, in der die Künstlerin zwei ihrer fortlaufenden Werkgruppen in einen produktiven Dialog setzt: Entlang der Wände erstrecken sich die auf Umverpackungsmaterial angefertigten Malereiarbeiten der Serie „Cave Paintings.“ Sie weisen alle das gleiche Motiv einer ornamentalen Blüte vor. Bewusst evoziert die Künstlerin durch eine Anordnung der Malereien im Raster eine tapetenartige Ästhetik. Als Gegenpol zu den haptisch wirkenden Wandarbeiten liegen am Boden des Raums glasierte Plastiken verteilt. Sie alle nehmen die Form von Zitronenfrüchten an, die in unterschiedlichen Größenverhältnissen handgefertigt wurden. Auch diese entspringen einer seriellen Gruppe, die einzeln jeweils mit dem Titel „Dienerin“ versehen sind.
Nata Togliattis Umgang mit dem Ornament und der handgefertigten Keramik als Ausdruck zeitgenössischer Kunst erinnert an einen spezifischen Moment in der westlichen Kunstgeschichte, als das Muster aus dem Dekorativen herausgehoben wurde. Vertreter:innen der amerikanischen Pattern & Decoration Bewegung (kurz: P&D) der 1970er Jahre, beriefen sich auf jahrhundertalte, nicht-westliche Bildauffassungen. Zelebriert wurden Flächigkeit und Repetition, die auch schon in der klassischen Moderne aufgegriffen wurden. Eine Besonderheit in der P&D-Bewegung hingegen war, dass die gesellschaftspolitischen Mechanismen hinterfragt wurden, die eine Trennung zwischen Hochkunst der Malerei und Handwerk verursacht hatten. Besonders befassten sich P&D-Künstlerinnen mit der Unterdrückung von Frauen in die Rolle anonymer Schöpferinnen von dekorativer Zierde.
Nata Togliattis Malereien entspringen nicht der kunsthistorischen Auseinandersetzung mit P&D, sondern hingen initial mit ihrem Großelternhaus zusammen, wo sie die Sommer ihrer Kindheit verbrachte. Sie hielt die ornamenthaften Tapetenmuster des großelterlichen Wohninterieurs kurz vor dessen Auflösung in Schnappschüssen fest. In ihren ersten „Cave Paintings“ griff sie auf diesen materiellen Fundus eingekapselter Erinnerungen zurück. Wobei sich „Cave“ auf das Erinnerungspotential bezieht, einen physisch nicht mehr vorhandenen Ort, emotional wieder aufleben zu lassen.
Dennoch lässt sich eine Verbindung zwischen Togliattis spezifischer Auseinandersetzung mit dem Ornament und den Belangen der ihr vorausgegangenen P&D-Künstlerinnen herstellen: in ihrer Abschlussarbeit steht für Nata Togliatti weniger das nostalgiegeladene Objekt im Vordergrund als die tiefergreifende Perspektive auf das Ornament als zentraler Bildgegenstand der Malerei. Dabei rückt sie auch wörtlich das Ornamenthafte der industriell gefertigten Wandtapete in die Mitte ihrer jeweiligen Bildkompositionen. Auf technischer Ebene knüpft sie damit an die ursprünglich aufwendig von Hand gemalte Ornamentkunst an, die jedoch am Bildrand situiert und zur Aufwertung zentraler Bildkompositionen angefertigt wurde. Man verstand das Ornament als Beiwerk, das in eine gewisse Stimmung einzubetten vermochte. Diesen stimmungsmachenden Charakter behielt sich das Ornament auch in der industriell gefertigten Wandtapete bei, wenngleich es an Prestigevorstellungen längst vergangener Epochen und Geschmäcker erinnerte. Nata Togliatti rückt beides zurück ins Zentrum: Handwerk und Dekor, womit sie auch die damit einhergehenden Hierarchiesierungen künstlerischen Techniken und Genres erneut zum Diskurs stellt.
Togliatti malt jede Blüte von Hand, in farblich Variationen und subtilen Abweichungen vom ursprünglichen Muster. Auch hierin liegt eine Referenz auf die Hochkunst der Ornamentik, wo mit versteckten Abwandelungen spielerische Akzente in das Gesamtwerk eingefügt worden sind. In Abgrenzung zur klassischen Ornamentkunst vergangener Epochen hingegen, malt Nata Togliatti ihre Blütenelemente mit grober Pinselführung. Die malerische Substanz dick aufgetragener Farbschichten greift hier die Haptik des eigenwilligen Maluntergrunds auf. Togliatti malt auf Umverpackungen, die im metaphorischen Sinn hinter der Lebensmittelindustrie stehen, und damit eine Art Emblem globalisierter Handelsketten darstellen.
Die zitronenförmigen Plastiken am Boden wirken auf den ersten Blick wie entweder zufällig gefallene umsichtig platzierten Stolpersteine. Ihre keramische Materialität und insbesondere die Glasur unterstreichen das Fragile ihrer handgefertigten, organisch gewölbten Oberflächenbeschaffenheit. In mythologischen wie religiösen Kontexten wird der Zitrusfrucht verführerische Kraft zugesprochen. Im frühbiblischen Kontext galt die Zitrone sogar als mögliche Darstellung der verbotenen Frucht. Diese biblische Konnotation rückt die Zitrone in den Zusammenhang der damit in Verbindung stehenden Akteure, Adam und Eva, insbesondere mit Letzterer, in der sich die Allegorie der Verführung menschlich verkörpert hat.
Aus dieser Sichtweise stellt sich die Frage nach der Einordnung der immersiven Installation „Genussvolle Flucht“ erneut. Scheint doch die Raumsituation weniger einem Interieur, als einer zeitgenössischen Interpretation des „Paradiesgärtleins“ zu ähneln. In diesem mittelalterlichen Gemälde eines Oberrheinischen Meisters um 1410/20 sind sowohl Anspielungen auf den sakral geschlossenen, jungfräulichen Garten, als auch auf den profanen Lustgarten enthalten. Nata Togliattis Diplomarbeit bewegt sich ebenfalls innerhalb einer changierenden Bedeutungslandschaft: Sie deckt einerseits verborgene Mechanismen der kapitalistischen Konsumkultur auf, während sie gleichzeitig mittels der Ornamentblüte einer herkömmlichen Wohnungstapete die Frage nach kultureller Zugehörigkeit aufwirft. Togliattis tiefe Infragestellung des politischen Gehaltes der von ihr verwendeten Symbole, zeichnet sich nicht zuletzt auch im Wechselverhältnis der Einzeltitel ihrer Arbeiten aus: Die als „Dienerinnen“ bezeichneten Plastiken stehen im Dialog mit den aus ihrer ursprünglich dienenden Funktion enthobenen Blütenornamenten. Am Ende bleibt zu fragen, wer und was dient hier wem, und zu welchem Zweck.
Tatjana Schaefer